Stehen bezahlbare innovative Arzneimittel auf der Kippe?
7. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik fragt, was das Sparen im Gesundheitswesen kostet
Wie lässt sich ein Gesundheitswesen gestalten, in dem eine hochwertige, solidarische Versorgung mit innovativen Arzneimitteln finanzierbar bleibt? 13 gesundheitspolitische Reformen hat Deutschland in den letzten 15 Jahren durchlaufen, ohne das Problem einer proportional zum medizinischen Fortschritt wachsenden Unterfinanzierung lösen zu können. Stattdessen werden Sparmaßnahmen initiiert, die die Arzneimittel-Versorgung beschneiden und das Solidarprinzip unterwandern. Zu diesem Thema kamen beim „7. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik“ Experten aller Bereiche des Gesundheitswesens zusammen.
Dr. Klaus Meyer-Lutterloh
Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für bürgerorientierte Gesundheitsversorgung e. V.
Marianne Boskamp
Geschäftsführende Gesellschafterin der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG
Roland Dieckmann
Referent des Vorstandes der DAK
Prof. Dr. Peter Oberender
Gesundheitsökonomie Universität Bayreuth
Muss im Gesundheitswesen gespart oder investiert werden?
Im Kern geht es um die Frage, ob sich der zukünftige Bedarf des Gesundheitswesens durch sparen decken lässt. Roland Dieckmann, Referent des Vorstandes der DAK, geht hart mit der verantwortlichen Politik ins Gericht. Es sei staatlich verordnete Planwirtschaft, freien Wettbewerb zwischen Krankenkassen zu fordern und zugleich den Wettbewerbsparameter Preis durch einen gesetzlich vorgeschriebenen Einheitsbetrag zu ersetzen. Zur Überwindung des Kostendrucks der GKVen fordert Dieckmann die Anrechnung der Einkünfte aus Privatvermögen bei der Bemessung der Beitragshöhe: Grund für die Unterfinanzierung der Kassen sei eine eklatante Marktspaltung: Gesunden, meist jungen, beitragsreagiblen Menschen stehen alte oder kranke Versicherte gegenüber, die 80 Prozent der Kosten für Arzneimittel und ähnliches verursachen. Nur ein Finanzierungssystem, das vom individuellen Nutzen abstrahiert und die Solidarität stärkt, könne diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gerecht werden.
Eine Möglichkeit, die Effizienz der Versorgung zu steigern, liegt laut Dieckmann in der Förderung von Selektivverträgen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern. Eng definierte Leistungsbereiche ermöglichen ein auf die Bedürfnisse aller Beteiligten ausgerichtetes Versorgungsangebot sowie innovative Arzneimittel.
Forschungsbarrieren verdrängen bewährte Arzneimittel vom Markt
Aus dem Alltag ihres Unternehmens schildert Marianne Boskamp (Geschäftsführende Gesellschafterin der G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG), wie regulative Vorgaben den pharmazeutischen Mittelstand boykottieren und dabei die Kosten des Gesundheitswesens in die Höhe treiben. Insbesondere die Forschung an bewährten Arzneimitteln unterliegt so strengen bürokratischen Anforderungen, dass sie oft unrentabel ist. Dadurch werden bewährte Arzneimittel durch neue Arzneimittel vom Markt gedrängt, die unter dem Schutz eines Substanzpatents besonders teuer verkauft werden. Daneben verhindert der gesetzliche Rahmen aus Rabattverträgen und aut-idem-Regelung, dass Arzneimittel beim Arzt beworben werden können. Immense Mehrkosten für Patienten und System entstehen zudem durch fehlenden wirtschaftlichen Schutz für Indikationspatente, die aufgrund geringer Entwicklungskosten günstig angeboten werden könnten. Ohne gesetzlichen Schutz vor generischen Wettbewerbern sind solche bewährten Arzneimittel unrentabel. Damit wird ein großes Potential für eine günstigere Versorgung mit Arzneimitteln verspielt.
Boskamp wünscht sich eine Forschungsumgebung, die neue Moleküle nicht automatisch mit Altbekanntem in direkten Wettbewerb setzt. Wettbewerb muss wieder unterhalb des Substanzpatentes möglich sein und die regulative Austauschbarkeit von Arzneimitteln reduziert werden.
Zugang zu innovativen Arzneimitteln
Prof. Dr. Peter Oberender, Gesundheitsökonom an der Universität Bayreuth, nennt den medizinischen Fortschritt als stärksten Kostentreiber im Gesundheitssystem, der ein gesundes Altern über Halfway-Technologien ermöglicht. Sein Ziel lautet, jedem Bürger einen schnellen Zugang zu innovativen Arzneimitteln und bester medizinischer Versorgung zu ermöglichen. Zur Finanzierung muss der Einzelne allerdings in zumutbarem Rahmen stärker belastet werden. Die technische Explosion des Machbaren führe dazu, dass die medizinischen Möglichkeiten die finanziellen Ressourcen übersteigen. Oberender betont, dass die steigende Nachfrage nach Wahlleistungen Gesundheit zu einem Wachstumsmarkt par excellence mache. Zur Steigerung der Effizienz will er das IQWIG durch ein Institut für Innovationen (IfI) ersetzen. Das IfI soll Innovationen bindend für den G-BA festlegen. Weiterhin bringt Oberender ein, dass die Nutzenbewertung von Verfahren und Arzneimitteln nur dort an evidenzbasierte Studien gebunden sein soll, wo ein Ursache-Wirkungs-Prinzip vorliegt.
Brachliegende Ressourcen durch besseres Versorgungs-Management nutzen
Dr. Klaus Meyer-Lutterloh (Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für bürgerorientierte Gesundheitsversorgung e.V.) unterscheidet in seinem Plädoyer für mehr Management im Bereich Versorgung. Die Gesundheitspolitik initiiert vorwiegend schädliche Sparmaßnahmen. Ein Beispiel dafür sind Hausarztverträge, die ohne reale Qualitätsverbesserung wichtigen Bereichen Finanzmittel entziehen. Die Arzneimittel-Rabattverträge attackiert Meyer-Lutterloh als kurzsichtige Einsparungen der Krankenkassen, die immense Transaktionskosten bei Ärzten und in Apotheken erzeugen und die für das Gesundheitswesen teure Non-Compliance-Rate erhöhen. Statt an Leistungen zu sparen, fordert Meyer-Lutterloh ein Sparen mit Leistung und einen Paradigmenwechsel von der Post-Crash-Intervention zur Prävention. Hier zeigen sich beeindruckende Effizienzressourcen: Das Einsparpotential durch Gesundheitsbildung liegt bei 6 Milliarden Euro und übersteigt damit das der Rabattverträge sechsfach, ohne vergleichbare Transaktionskosten aufzuwerfen.
Die Expertenrunde geht davon aus, dass das Gesundheitswesen in seiner heutigen Form auf unabsehbare Zeit nicht finanzierbar ist. Der Trend zur Selbstzahlermedizin wird sich fortsetzen. Gleichwohl bietet das System in nahezu allen Bereichen brachliegende Ressourcen, deren Nutzung den Weg in eine bezahlbare Medizin bereiten könnte.