Ist das AMNOG zukunftsfähig?

9. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik beleuchtet AMNOG mit Fokus auf Arzneimittel-Schnellbewertung

Am 1. Januar 2011 ist das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) in Kraft getreten. Die wichtigste Neuerung: Die Abgabepreise für neue Arzneimittel werden beschränkt, um die GKV zu entlasten. Unter der Fragestellung „AMNOG -Ausweg oder Holzweg?“ nahm der 9. Eppendorfer Dialog das Gesetz und speziell die Arzneimittel-Schnellbewertung unter die Lupe. Die Experten zeigten sich nicht grundlegend überzeugt. Anstelle des von der Regierung selbstbewusst ausgelobten großen Wurfs zur Restrukturierung des Marktes für Arzneimittel ist mit dem AMNOG ein Preisregulierungsinstrument gelungen, das kaum Auswirkung auf die Arzneimittel­ausgaben haben wird – die Versorgungssicherheit aber in Frage stellt.

Referenten
  • Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig

    Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, Chefarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie am HELIOS Klinikum Berlin-Buch

  • Dr. Angelika Kiewel

    IKK e. V., gemeinsame Interessenvertretung der Innungskrankenkassen auf Bundesebene, Berlin

  • Christoph Kranich

    Verbraucherzentrale Gesundheit und Patientenschutz Hamburg

  • Prof. Dr. Bertram Häussler

    Geschäftsführender Gesellschafter IGES Institut, Berlin

Patentgeschützte Arzneimittel sollen durch AMNOG günstiger werden

Ist das AMNOG der richtige Weg zur Kostendämpfung der GKV-Arzneimittelausgaben? Die Ausgaben für GKV-Versicherte betragen pro Jahr rund 33 Milliarden Euro. Ursachen für die hohen Kosten liegen in der demografischen Entwicklung, aber auch in den teuren patentgeschützten Arzneimitteln. Hier setzt das AMNOG an. Ziel ist es, Innovationen für den deutschen Markt kostengünstiger zu machen. Eine frühe Nutzenbewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und das Festlegen der Erstattungspreise spätestens nach einem Jahr sollen die Kosten dämpfen und neue Arzneimittel schneller verfügbar machen.

Ob aber eine Versorgungssicherheit auch bei einer Arzneimittel-Schnellbewertung bereits im präklinischen Stadium gewährleistet sein kann, muss das AMNOG in der Praxis erst beweisen.

AMNOG: Wirtschaftlich auf Kosten der Versorgung?

Zweifellos wird das AMNOG

  • die Wirtschaftlichkeitsprüfung für Arzneimittel verschlanken,
  • die Therapie- und Verordnungsausschlüsse klar regeln und
  • Rabattverträge für patentfreie und wirkstoffgleiche Arzneimittel wettbewerblicher gestalten.

Die Beantwortung der Frage, ob es die Wirtschaftlichkeit der medizinischen Versorgung steigern kann, hängt für Prof. Dr. Bertram Häussler (IGES Institut) von der jeweiligen Perspektive ab. Diese ist aus Patientensicht anders als aus Sicht der Krankenkassen. Da lediglich 1,5% der Arzneimittel-Gesamtausgaben auf Innovationen entfallen, rechnet Prof. Häussler mit einer vergleichsweise geringen Ausgaben­dämpfung von max. 100 Mio. Euro durch das AMNOG. Dem gegenüber stehen die Risiken, dass die Industrie für Festbetrags-Arzneimittel private Zuzahlungen verlangt – oder sich mit neuen Präparaten ganz vom Markt zurückzieht. Aus Sicht der Krankenversicherer wird durch das AMNOG die Wirtschaftlichkeit natürlich gesteigert. Häussler prognostiziert, dass das AMNOG die Innovationsbereitschaft hemmt, während die Arzneimittelausgaben mittelfristig dennoch um ein bis zwei Prozent jährlich steigen.

AMNOG kein Instrument für strukturelle Verbesserungen

Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft kritisiert das AMNOG ebenfalls: Die frühe Nutzenbewertung sei ein völlig falscher Begriff, denn früh könne ein Nutzen, insbesondere ein Zusatznutzen zur Standardtherapie, nie bewertet werden. „Wenn wir Arzneimittel schnell bewerten, müssen wir erhebliche Unsicherheiten in punkto Wirksamkeit auf uns nehmen.“ Ob ein Wirkstoff besser oder gar überlegen ist, könne man zu so einem Zeitpunkt noch gar nicht sagen, so Prof. Ludwig. Zum Zeitpunkt der Zulassung bestehe ein erhebliches Erkenntnisdefizit. In erste Linie wären die weiteren Evidenzen für den patientenrelevanten Zusatznutzen wichtig. Prof. Ludwig kann im AMNOG zumindest kein Instrument für strukturelle Verbesserungen in der Arzneimittelversorgung sehen.

Wie denken die Krankenkassen über das AMNOG?

Dr. Angelika Kiewel (IKK) zeigt sich als AMNOG-Fürsprecherin der Expertenrunde. Der Grund: Die Industrie müsse durch das AMNOG den Beweis eines Zusatznutzens für jedes neue Arzneimittel erbringen. Sie weist in punkto Einsparungspotenziale auf die Kennzahlen der deutschen Arzneimittelversorgung hin. Danach sind 60% des Pharmamarktes patentgeschützte Arzneimittel – deren Kosten die von Generika um das Siebenfache übersteigen. Durch das AMNOG gehen für die Krankenkassen-Vertreterin Arzneimittelqualität und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand. Unglücklich sei lediglich, dass die Präparate im AMNOG gegen Placebo und nicht gegen Standardtherapeutika getestet werden müssen. Auch Nebenwirkungen seien nicht ausreichend zu belegen. Die Arzt- und Patientensouveränität bei der Arzneimittelwahl sieht Kiewel durch das AMNOG nicht beeinträchtig. Schließlich könne jeder sein Wunscharzneimittel bekommen, müsse lediglich die Mehrkosten selbst tragen.

Patienteninteressen bei AMNOG wieder einmal vernachlässigt

Schärfster AMNOG-Kritiker ist Patientenvertreter Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale Hamburg. Wieder einmal seien keine nachhaltigen strukturellen Reformen durchgesetzt worden, weil die Primärinteressen der anderen Akteure im Gesundheitssystem im Vordergrund stehen. Seine Wunschliste ist lang:

  • die Veröffentlichung aller Studien für alle,
  • eine grundsätzlich unabhängige Arzneimittel-Prüfung,
  • Patienten-Meldesysteme für Nebenwirkungen und
  • eine bestmögliche Evidenzbasierung.

Statt gesellschaftlichen Konsens zu suchen, herrsche beim AMNOG kurzsichtige Fokus­sierung auf den eigenen Profit. „Wir sind hier nicht im Darwinismus!“ beendet er seinen anschaulichen Vortrag. „Die Berücksichtigung der Interessen aller Parteien wäre die beste Stabilisierung für das Gesundheitssystem.“

Am Ende bleibt das Fazit: Das AMNOG ist zwar kein Holzweg, aber immer noch kein struktureller Ausweg oder gar eine 4. Hürde für das deutsche Gesundheitssystem. Die nächsten Monate mit dem AMNOG werden zeigen, ob die Experten mit ihrer kritischen Sichtweise Recht behalten.

Flyer zur Veranstaltung

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