Bestimmen GKV über die Arzneimittelversorgung der Versicherten?

4. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik nimmt Rabattverträge und Krankenkassen ins Visier

Die Möglichkeit der Rabattvertragsregelung ist nicht neu. Bis Ende 2006 war sie allerdings ein „stumpfes Schwert“, das erst mit dem GKV-WSG und den Regelungen der §§ 129 und 130 a SGB V zu einer „scharfen Waffe“ im Bemühen um Einsparungen innerhalb des GKV-Systems wurde. Die neuen Möglichkeiten sind von den großen GKV erfolgreich genutzt worden. Allen voran die AOK, die für 2007 die Zahl von 100 Mio. Euro Gesamteinsparungen durch Vertragsabschlüsse mit der pharmazeutischen Industrie nennt. Trotzdem bringt die GKV-Rabattvertragsregelung Unmut – und ist derzeit zur juristischen Klärung beim Europäischen Gerichtshof anhängig. “Rabattverträge: Wer gewinnt, wer verliert?“ war daher auch das aktuelle und brisante Thema des „4. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik“.

Referenten

AOK-Boss zeigt Rentabilität der GKV-Rabattverträge auf

Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Dr. Hans Jürgen Ahrens, nimmt die gesamte Aufregung um die GKV gelassen. Er hat durch millionenstarke Einsparungen die Argumente auf seiner Seite und will das gesparte Geld durch Beitragsrückzahlungen erstatten. Ahrens betont, dass es bei den bisher rabattierten 43 Wirkstoffen ausschließlich um generische Wirkstoffe geht, die von den GKV nunmehr wirtschaftlicher zur Verfügung gestellt werden können. Dem Einwand, durch die Vergabe an nur wenige große Generika-Hersteller eine Oligopolisierung zu fördern, widerspricht Ahrens. Er präsentiert eine GfsG-Erhebung, wonach der Marktanteil des Mittelstandes in 2007 durch die AOK-Arzneimittelverträge um rund 27% auf 56,9% insgesamt gestiegen ist, während der Anteil der marktdominierenden drei Konzerne um 25% fiel. Ungeachtet des juristischen Gerangels plant die AOK für 2008/2009 verbesserte Kriterien für Rabattverträge sowie die Ausschreibungsausweitung auf 83 bedeutende generische Wirkstoffe.

Bleiben pharmazeutische Innovationen durch Rabattverträge auf der Strecke?

Die pharmazeutische Industrie – vertreten durch Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer BPI, beurteilt die Lage anders. Gerade Portfolioverträge der GKV benachteiligten den Mittelstand, denn große Generikafirmen haben mehr Spielraum durch Quersubventionierungspolster, Skalierungsvorteile und ein geringeres Lieferunfähigkeitsrisiko. Fahrenkamp moniert, dass die AOK bei ihren Angaben keine Mittelstandsdefinition vorweist und belegt, dass kleinere Generika-Unternehmen ihren Rabattanteil nur in geringem Umfang ausbauen konnten. Die von Ahrens avisierte Beitragssenkung hält Fahrenkamp für Effekthascherei: „Bei 100 Mio. Gesamteinsparungen wäre das pro Versichertem eine Senkung von 0,01% - das merkt kein Mensch.“ Merken würden es die Mitglieder von GKV hingegen, wenn mittelfristig nur Standardprodukte und keine therapeutischen Innovationen verordnet werden.

Neues Zielpreismodell soll für höhere Flexibilität sorgen

Mit anderen Problemen als die GKV haben niedergelassene Ärzte, Kliniken und Apotheken zu kämpfen. Viele Ärzte sehen sich zunehmend in der eigenverantwortlichen Therapie-Entscheidung beschnitten. Krankenhäusern, die bislang eigene lukrative Rabatte mit der Industrie ausgehandelt haben, fehlt durch Rabattverträge der Verhandlungsspielraum, und das kostet Geld, erläutert Dr. Alexander Kirstein, Kaufmännischer Direktor des UKE. Immerhin sind 61% aller Arzneimittel im stationären Bereich Generika. Kirstein sieht auch eine Umstellungsproblematik, wenn Patienten ambulant weiter behandelt werden müssen und ein namentlich anderes Präparat erhalten. Das aber bringt vor allem die Apotheker in Erklärungszwänge und führt – so Karl-Heinz Resch, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales ABDA – zu bürokratischem Mehraufwand. Die Apothekerschaft beklagt zudem die Unflexibilität und Alternativlosigkeit der Rabattverträge der GKV.

Juristisch kritisch: GKV-Rabattverträge hebeln gesetzliche Vorgaben aus

Der Hamburger Medizinrechtler Wolfgang Kozianka hält Rabatt-Knebelverträge für einen weiteren Schritt in die Zwei-Klassen-Medizin. Der grundsätzliche Anspruch des GKV-Versicherten aus § 2 SGB V auf eine Versorgung auf anerkanntem Erkenntnisstand unter Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts sei damit nicht mehr erfüllbar. Als ein Beispiel nennt Kozianka die Diabetes-Behandlung mit Humaninsulin versus Insulinanaloga. Beide Therapeutika sind wirksam, allerdings haben moderne Insulinanaloga unstreitig Vorteile für die Patienten. Die GKV erstattet Humaninsulin und lässt ein fortschrittlicheres Arzneimittel unbeachtet. Das ist aus juristischer Sicht grob gesetzwidrig. Bleibt abzuwarten, welche Position der Europäische Gerichtshof in der GKV-Frage einnimmt.

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