Neue Therapien: Mehr Chancen für Bewährtes

15. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik beleuchtet Vor- und Nachteile neuer Therapieverfahren

Sind neue Therapien besser oder oft nur teurer? Dieser Frage stellten sich die Experten beim 15. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik unter der Moderation von Prof. Dr. Matthias Augustin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Denn die frühe Nutzenbewertung ebnet auch vielen Scheininnovationen den Zugang zum Markt.

Das Ergebnis der Debatte: Forschung für therapeutischen Fortschritt ist zwingend notwendig und der Wunsch von Ärzten und Patienten. Aber nicht alles, was neu zugelassen wird, ist eine echte Innovation. Heißt: Fortschritt muss sein, aber neu ist nicht immer besser.

Referenten
  • Prof. Dr. Gerd Glaeske

    Co-Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen

  • Dr. med. Markus Frick, MPH

    Geschäftsführer Markt und Erstattung beim Verband Forschender Arzneimittelhersteller e.V. (vfa)

  • Maria Klein-Schmeink

    Bundestagsabgeordnete, Mitglied im Gesundheitsausschuss, Sprecherin für Gesundheitspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, klein-schmeink.de

  • Prof. Dr. med. habil. Wolfram Mittelmeier

    Klinikdirektor, Orthopädische Klinik & Poliklinik, Universitätsklinikum Rostock, ehem. Präsident Deutsche Gesellschaft f. Orthopädie & Orthopädische Chirurgie (DGOOC)

Nutzenbewertung: Ist der Nutzen neuer Therapien objektiv darstellbar?

Jedes in Deutschland mit einem neuen Wirkstoff eingeführte Arzneimittel muss seit 2011 seinen Zusatznutzen gegenüber vorhandenen Therapeutika gemäß den Richtlinien der frühen Nutzenbewertung unter Beweis stellen. Eine Herausforderung für die forschende Pharmaindustrie – doch ist der Nutzen tatsächlich vor der breiten Anwendung in der Praxis objektiv darstellbar? Eher nicht, meint Gesundheitsökonom Prof. Dr. Gerd Glaeske. Denn zum Zeitpunkt der Markteinführung ist nicht in Gänze bekannt, welchen therapeutischen Fortschritt die neuen Arzneimittel in der Versorgung haben. Glaeske konnte im TK Innovationsreport 2014 zeigen: Nur 15% der neuen Arzneimittel bieten einen Vorteil für die Patienten, bei 50% ist dieser Vorteil nur bedingt vorhanden, und bei 35% kann gar kein Zusatznutzen für Patienten festgestellt werden. Glaeske spricht bei den neuen Therapien von vielen Scheininnovationen, die zu Mehrausgaben in der GKV in Millionenhöhe führen. Durch gleichwertige Bestandsarzneimittel ließe sich dies vermeiden. Das Beispiel Angina Pectoris verdeutlicht es: Durch neue Therapien erhalten viele Patienten die bewährten Nitrate nicht mehr. Nitrospray habe jedoch seine Effektivität und vor allem seinen hohen Patientennutzen insbesondere in der Notfallmedikation hinlänglich unter Beweis gestellt. Schon heute sind deutlich steigende Notfallaufnahmen von Angina Pectoris-Patienten in Krankenhäusern nachweisbar, die auf die Nichtverordnung von Nitrospray zurückzuführen sind. Eine skeptische Grundhaltung gegenüber neuen Arzneimitteln sei laut Glaeske demnach zu empfehlen.

Evidenzgenerierung für neue Therapien dauert lebenslang

Die innovative Pharmakotherapie verzeichnet aber auch große Erfolge – zum Beispiel im Bereich neue Therapien für Herz-Kreislauf- oder Krebs-Erkrankungen. Dr. Markus Frick (vfa) bricht in diesem Zusammenhang die Lanze für die frühe Nutzenbewertung. Er erläutert anhand der Onkologie: Fokus ist, den Tumor zu verkleinern. Der entsprechende Wirksamkeitsnachweis muss für eine Zulassung ausreichen. Denn erst Jahre später kann etwas zur Überlebensrate und dem allgemeinen Patientennutzen gesagt werden. Insofern erfolgt die Evidenzgenerierung über den gesamten Lebenszyklus des Medikaments – nicht über die Nutzenbewertung. Ein weiteres Argument: Die Entwicklungskosten für ein Arzneimittel liegen im Schnitt bei 1,2 Mrd. Euro. Diese müssen sich erst einmal für die Unternehmen refinanzieren. Neue Anreizsysteme für die Arzneimittelforschung wären für ihn eine Lösung. So müsste die Diskussion um Fortschritt nicht auf der Preisebene geführt werden.

Nutzenbewertung auch für Krankenhausaufenthalte?

Im Arzneimittelbereich kritisch hinterfragt, in anderen Gesundheitsbereichen noch gar nicht existent: die Nutzenbewertung neuer Therapien. Die Bundestagsabgeordnete Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) macht sich beim Eppendorfer Dialog für die Nutzenbewertung für den Krankenhausaufenthalt stark – genauso wie für kontrollierte Verfahren für den Eingang neuer Behandlungsmethoden in die Krankenhäuser. Klein-Schmeink plädiert für Innovationszentren und unabhängige Zulassungsstellen für Medizinprodukte. Wichtig sei auch eine bessere Finanzierung der Basisversorgung in den Kliniken, damit beispielsweise auch ländliche Kliniken überleben können, ohne auf teure Operationen setzen zu müssen. Dass in Deutschland grundsätzlich zu viel operiert wird, bestreitet Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier. Der Rostocker Klinikdirektor sieht in der Operationszahl, die nicht nur im Bereich der Endoprothetik überdurchschnittlich ist, vielmehr den hohen Versorgungsgrad in Deutschland. Häufig werde viel zu lange konservativ behandelt und damit eine notwendige, dem Patienten nützende Behandlung verzögert. Im Ergebnis somit oft teurer. Mittelmeier fordert Patientenregister, die Patienten über mindestens zehn Jahre verfolgen. Erst damit können konkrete Aussagen über den Wert von Operationen gemacht werden.

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